Respiro - Musik, die berührt, In Memoriam Walter Nater (1938 - 2012)

Was ist Respiro?

Respiro (lat.) bedeutet wörtlich „Zurückwehen” oder Atem holen, Atem schöpfen.
Musik unter diesem Namen bedeutet Musik zum Atmen; Musik, die Emotionen zulässt,
die der Seele die nötige Zeit gibt, um „mitzukommen”, auf die Musik reagieren zu können ...

Hören Sie bitte selbst, wie das gemeint ist:

„Atemlos” gilt heute in der Musik als besondere Auszeichnung – welche Umkehrung der Werte! Atemlose und damit gezwungenermassen auch weitgehend geistlose Musik wird in unserer Zeit als höchste Errungenschaft erachtet.

Auch hier wollen wir Ihnen ein Beispiel geben:
Hier auch als Video

Die Hektik unserer Zeit widerspiegelt sich damit auch in der Musik, wobei vergessen wird, dass Musik „zeitlos zeitgebunden” ist.
Wohl sagt man, dass die Kunst ein Spiegel ihrer Zeit sei. Doch dies bezieht sich nur auf die bildende Kunst - und in der Musik zählt in diesem Sinn nur die Komposition dazu. Es käme doch heute niemandem mehr in den Sinn, alte Kunstwerke an unsere Zeit anpassen zu wollen – im Gegenteil. Es wurde noch in keiner andern Zeit so viel restauriert (= in den Originalzustand zurückversetzt) wie heute.

Noch in keiner Zeit wie in den letzten Jahrzehnten hat man sich so für die alte Bauweise der Instrumente interessiert und damit auch auch versucht, Entwicklungen zurück zu verfolgen, was zu anderen Klangergebnissen führte.
Dabei sei aber auch die Frage erlaubt, warum dies nicht auch für das Tempo gilt.

„Am Ende wird die ganze Musik in der Vorstellung des Berufsmusikers zu einem Geschäft geworden sein.
Das ist der Grund, warum leider allzu oft selbst die geistreichsten Spieler ihre ganze Kraft auf rein technische Anstrengungen konzentrieren, um so die schwierigsten Stücke noch besser als andere spielen zu können; denn das bringt ja Geld ein.”

Aus: John Knittel: Amadeus

Respiro hat zum Ziel, den Interpretations- und Tempovorstellungen nachzuspüren, wie sie sich aus der Forschung der alten Theoriebücher ergeben. Es geht dabei vor allem um den inneren Wert der Musik, d.h. um den Ausdruck und die Aussagekraft.
Gerade die heutige Zeit des Zusammenbruchs vieler äusseren Werte bedarf der Hinwendung zu den inneren, immerwährenden Werten der musikalischen Kultur. Damit werden Ruhepunkte geschaffen, die den gehetzten Seelen der Menschen das Leben erleichtern, sie können wieder „aufatmen”.

Respiro in der Musik bedeutet, dass der pulsierende Rhythmus des alten Taktverständnisses wieder hör- und spürbar gemacht wird.
So wie sich der menschliche Puls in einen stärkeren, „arbeitenden” (= Systole) und einen schwächeren, „ruhenden” (= Diastole) Schlag aufteilt, so müssen auch der Takt und die Noten pulsieren.

In früheren Lehrbüchern wird überliefert, dass
„in der Musik zwo lange Noten von einerley Grösse und Accent ganz unmöglich sind”
(J. A. Scheibe 1739).
Zwei gleiche aufeinander folgende Noten sind im inneren Wert immer ungleich lang, d.h. entweder ist die erste „lang” bzw. betont und die zweite „kurz” bzw. unbetont (= Trochäus) – oder umgekehrt (= Jambus).
Dieses Wissen um den Takt mit den sogenannten Quantitas intrinseca ist im Laufe des 19. Jahrhunderts verloren gegangen. Weil heute der Takt nur noch mathematisch genau genau gespielt wird, d.h. jeder gleiche Ton genau gleich lang, resultierte daraus das viel gerühmte „perlende” (und rasende) Spiel, welches z.B. für Mozart historisch nicht begründet ist ...

„Übrigens ist es auch viell leichter eine Sache geschwind, als langsam zu spielen.”
(W. A. Mozart)